Flüchtlingssituation eskaliert: So leidet Griechenland unter der geschlossenen Balkan-Route
jkl/dpa
Veröffentlicht: 28/02/2016 18:53 CET Aktualisiert: Vor 1 Stunde FLCHTLINGE
"Öffnet die Grenze!" - "Helft uns!" - "Freiheit!", skandieren die Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze. Rund 7000 Menschen haben sich dort mittlerweile eingefunden in der Hoffnung darauf, weiterreisen zu dürfen. Ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser ist schon längst nicht mehr gesichert, so wie im Rest des Landes auch.
Die Auffanglager von Lesbos über Athen bis in den Grenzort Idomeni sind heillos überfüllt. Mehr als 25.000 Flüchtlinge und Migranten stauen sich in Griechenland, seit die Länder der Balkanroute vor einigen Tagen ihre Grenzen geschlossen haben. Das Land sei "ein einziger großer Hotspot", heißt es in Athen.
Gut 500 Meter lang ist die Schlange am frühen Sonntagmorgen bei der Essensausgabe im Grenzort Idomeni. Geduldig stehen die Menschen an, kleine Kinder, junge Männer, Mütter mit Babys auf dem Arm, alte Leute am Stock.
Zu Fuß über die Autobahn
Immer wieder kommt es zum Gerangel um Nahrungsmittel, um Decken, Zelte und Schlafplätze. Auch der Müll wird zunehmend zum Problem - die umliegenden Gemeinden sind auf die zusätzlichen Mengen Abfall nicht eingerichtet.
Medizinische Versorgung ist ebenfalls kaum gegeben. Freiwillige und Mitglieder der Organisation Ärzte ohne Grenzen versuchen, die Menschen zu behandeln; vor allem Alte und Kinder leiden. Griechische Medien berichten von Kleinkindern mit Durchfall und Fieber und von Eltern, die keine Medikamente auftreiben können.
Dennoch reißt der Zug der Migranten gen Norden nicht ab - und entlang der Strecke ist die Situation ähnlich verzweifelt wie an der Grenze zu Mazedonien. In Trecks marschieren die Menschen zu Fuß über die Autobahn; Busse fahren kaum mehr Richtung Mazedonien, um die Situation an der Grenze unter Kontrolle zu halten.
Flüchtlinge werden notdürftig untergebracht
Stattdessen werden die Flüchtlinge im ganzen Land notdürftig untergebracht: Auf den Inseln bleiben die großen Fähren in den Häfen liegen, so dass die Menschen dort übernachten können. Am Hafen von Piräus schlafen sie ebenso wie in kurzfristig geöffneten Kasernen der Armee und am alten Athener Flughafen "Ellinikon".
Entlang der Strecke Richtung Norden öffnen Gemeinden ihre Turnhallen und Schwimmbäder, Parkplätze und Tankstellen werden vorübergehend zur Bleibe. Hilfsorganisationen und die griechische Bevölkerung versuchen, ausreichend Nahrung, Wasser, Decken und Kleidung bereitzustellen.
Derzeit gelangen täglich rund 3000 Menschen von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln. Halten die Länder entlang der Balkanroute an ihrem Beschluss fest, täglich höchstens 580 Menschen passieren zu lassen, ergibt sich bis zum Juni 2016 eine Zahl von rund 200 000 Menschen, die in Griechenland feststecken. Das wären pro Kopf mehr Flüchtlinge, als Deutschland 2015 geschultert hat - in einem Land, das seit sechs Jahren in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise steckt.
Die meisten wollen gar nicht in Griechenland bleiben
Seit Freitag arbeitet die EU griechischen Medienberichten zufolge gemeinsam mit Griechenland an einem Notfallplan für humanitäre Hilfe, darunter finanzielle Mittel und Unterstützung bei der Versorgung der Menschen. Um 228 Millionen Euro habe Athen Brüssel gebeten, berichtet die griechische Tageszeitung "Kathimerini" in ihrer Sonntagsausgabe.
Gedacht sei das Geld für die Einrichtung weiterer Notunterkünfte sowie die Versorgung der Menschen. Auch ein System mit Coupons, bei dem Privatleute und Hotels den Flüchtlingen Unterkunft gewähren könnten, ist demnach im Gespräch.
Dabei wollen die Flüchtlinge selbst gar nicht in Griechenland bleiben; auf die Frage, wohin ihre Reise geht, antworten die meisten "Deutschland". An den zentralen Athener Plätzen Viktoria und Omonia hat sich bereits ein reger Schleuser-Betrieb entwickelt; hier sammeln sich Flüchtlinge, um einen Weg zur Weiterreise zu finden.
Die Angebote der Schlepper reichen von Trips über Albanien nach Mitteleuropa bis hin zur Adria und dem Ionischen Meer nach Italien. Kostenpunkt: zwischen 2500 und 3000 Euro. Die meisten Flüchtlinge jedoch haben weder die Mittel, noch die Möglichkeit. Viele trauen den Schleusern nicht, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben; Familien mit Kindern können die langen Fußmärsche nicht bewältigen.
Mit dem Flüchtlingszustrom schlagen auch die politischen Wellen hoch. "Wenn der EU-Sondergipfel am 7. März zu keinem Ergebnis kommt, sind wir auf dem besten Weg in die Katastrophe", sagt der EU-Migrationskommissar und ehemalige griechische Minister Dimitris Avramopoulos. "Ohne die EU geht es nicht", betont auch Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Und der griechische Vizeminister für Migration, Ioannis Mouzalas, verweist im Interview darauf, dass es die mitteleuropäischen Länder gewesen seien, die die Kriegsflüchtlinge im vergangenen Jahr eingeladen hätten. "Sonst wären die Menschen gar nicht erst nach Griechenland gekommen."
Entrüstung ruft vor allem die harte Haltung Österreichs hervor. Vor dem österreichischen Konsulat in Athen demonstrierten am Samstag rund 1000 Menschen gegen die Grenzpolitik des Landes. Österreich stachele die anderen Länder der Balkanroute an, die Grenzen geschlossen zu halten.
Allumfassendes Veto gegen EU-Entscheidung
Immer wieder äußern griechische Politiker mittlerweile die Drohung eines allumfassenden Vetos, was EU-Entscheidungen betrifft. So könnte Griechenland beispielsweise mögliche Aufnahmegespräche der Balkanländer in die EU torpedieren.
Mit der Zunahme der Flüchtlingszahlen schwindet auch die Hoffnung des von der Finanzkrise schwer gebeutelten Landes auf eine wirtschaftliche Erholung. So verzeichnen die Inseln der Ostägäis im Vergleich zum Vorjahr bereits einen dramatischen Einbruch an Buchungen und eine Zunahme der Stornierungen von Touristen.
Viele Griechen sind mittlerweile davon überzeugt, sich direkt auf dem Weg in die Katastrophe zu befinden. Die Flut der schlechten Nachrichten aus der Kombination Finanz-, Wirtschafts- und Flüchtlingskrise reißt nicht ab, im Gegenteil: Täglich kommen neuen Hiobsbotschaften hinzu.
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