[b]Kardinal Joachim Meisner – unverwechselbar katholisch
Am 5. Juli 2017 verstarb der emeritierte Kölner Erzbischof an seinem Urlaubsort Bad Füssing. Dass Joachim Kardinal Meisner in seinem letzten Lebensjahr mit Gudrun Schmidt zahlreiche Gespräche geführt hat, wusste kaum jemand. Kurz vor seinem überraschenden Tod stimmte er zu, dass die Erinnerungen in dieser Form später einmal erscheinen konnten. Nun ist es soweit. An einer Autobiografie hat der Kardinal nicht gearbeitet, aber er hat über sein Leben erzählt – ein Buch im Originalton Meisner liegt nun vor.
Wer diese Erinnerungen zur Hand nimmt und mit der Gestalt und Persönlichkeit des Kardinals vertraut ist, der sieht und hört ihn gewissermaßen persönlich, etwa seine prägnanten Einschätzungen zu Politikern, denen er begegnete, ob sie nun Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Angela Merkel hießen. Erhellend sind seine Erinnerungen an Bundeskanzler Schmidt, der ihn zweimal im Jahr besuchte, als Meisner Bischof von Berlin war. Die Gespräche hatten einen rituellen Charakter: Schmidt meldete sich für zwei Stunden an, die unverzichtbaren Zigaretten brachte er selbst mit. Kaffee stand bereit. Religiöse Themen wurden nie diskutiert: "Ich hatte mich jedes Mal auf den Besuch gut vorbereitet. Denn Kanzler Schmidt pflegte nie viel zu reden, und er wollte auch keinen Rat von mir. Ihn interessierte die Sicht von jemandem, der die politische Bühne von beiden Seiten kennt." Als Helmut Kohl erfuhr, dass sein Amtsvorgänger zu Gesprächen mit dem Berliner Bischof
zusammengekommen war – drei Jahre nach Beginn seiner Kanzlerschaft –, meldete er sich auch zu Besuchen an. Ein Aschenbecher sei nicht notwendig gewesen. Meisner schildert die Atmosphäre wie folgt: "Helmut Kohl kam – und er war, wie er eben war. Er redete zwei Stunden lang, erzählte von seinen Erfolgen, aß mit Appetit die halbe Torte, dazu die Pralinen aus dem Schälchen, und wenn nicht seine Begleitung zum Aufbruch gemahnt hätte, wäre er bestimmt noch länger geblieben. Er ist christlich-katholisch, glaubt auch an Gott, präsentierte sich sehr von sich überzeugt – und erwies sich als dialogunfähig." Zu Angela Merkel, die "als geschiedene Frau … mit einem geschiedenen Mann ohne Trauschein zusammenlebte", fehlte der persönliche Konnex ganz. Merkel und den Kardinal trennten "Lichtjahre".
Mit Richard von Weizsäcker, dem Berliner Bürgermeister, gab es lebhafte Auseinandersetzungen. Der "gläubige Protestant" empörte sich über den "Alleinvertretungsanspruch der katholischen Kirche" und signalisierte Meisner, wenn er beim Berliner Katholikentag nicht zur Kommunion gehen dürfe, werde er nicht kommen: "Da war er bei mir natürlich an der richtigen Adresse. Er solle sich dies noch einmal überlegen, riet ich ihm. Denn dann würden wir uns einen eigenen Regierenden Bürgermeister wählen, der die Gegebenheiten der Religionen achte. Wir könnten keinen Bürgermeister als den unseren bezeichnen, der das Wesen unserer Kirche mit Füßen trete. Das muss. Ihn wohl getroffen haben, denn er hat nie wieder etwas darüber geäußert." Kardinal Meisner hatte hinreichend Begegnungen mit Politikern der DDR und des Ostblocks gehabt.
Er kannte die Verhältnisse gut, schildert auch Begegnungen mit Sympathisanten in der Kirche, die nach Wegen der vertieften Kooperation mit dem SED-Regime suchten, und so war er selbst immun gegen alle Formen des allzu geschmeidigen Umgangs mit politischer Prominenz in der Bundesrepublik. Vergleichbar furchtlos begegnete er auch Bischöfen, die etwa in der Frage der Abtreibung lebensweltlich orientiert nach Kompromissen suchten. Kardinal Meisner, persönlich Papst Johannes Paul II. eng verbunden, benannte klar und unmissverständlich, dass die Kirche in der Frage des Lebensschutzes sich nicht an die Moderne anpassen und somit den Beratungsschein, der eine Abtreibung ermöglichte, nicht ausstellen dürfe.
Theologen – nicht nur jene Allianz, die gegen die Berufung des Berliner Kardinals nach Köln medial opponierte – hatten an Joachim Meisner manches auszusetzen. Ja, der Kardinal erregte Anstoß, auch weil er sehr genau, vorsichtig und behutsam hinsichtlich der Erteilung der kirchlichen Lehrbefugnis agierte. Die wichtige Aufgabe, die der Theologie zukommt, hat er bereits beim Studium in Erfurt 1957 erkannt: "Jede Generation hat ihre eigene Theologie. Dabei geht es nicht etwa darum, Dogmen zu verändern, sondern Antworten zu finden auf die Anforderungen und Probleme der jeweiligen Epoche, für die die alten Antworten allein nicht mehr genügen." In dem Sinne, wie Meisner dies formuliert, strebten ja auch die Konzilsväter nicht nach einer Revolution der Kirche, sondern nach einer neuen, lebendigen Verkündigung des Evangeliums – der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte treu bleibend, in der Dynamik des Glaubens weltoffen auftretend.
Bald aber drohte das "liturgische Leben zu verwildern", weil Priester – warum auch immer – damit begannen, die Liturgie "kreativ" zu gestalten: "Sie wollten nicht wahrhaben, dass sie damit leichtfertig über etwas verfügen, über das sie nicht die Verfügungsgewalt haben." Zu dem Erbe des Kardinals gehört bei den Weltjugendtagen auch die eucharistische Nachtanbetung. Kurienerzbischof Piero Marini, seinerzeit Zeremoniar von Papst Benedikt, opponierte dagegen, das sei nicht liturgisch – aber Meisner erwiderte markant, was in Köln liturgisch sei, das bestimme der Erzbischof der Stadt: "Wie sich hinterher herausstellte, war diese Nachtanbetung der Höhepunkt schlechthin."
Anschaulich, lebhaft, humorvoll und farbig porträtiert Kardinal Joachim Meisner seinen eigenen Weg im Glauben und mit der Kirche, niemals – wie er selbst 1987 auf dem Dresdner Katholikentreffen auch sagte – einem anderen Stern folgend als dem von Bethlehem. Alle Anwesenden in Dresden wussten genau, was er meinte. Folgen können, dürfen und wollen Katholiken nur dem Stern von Bethlehem. Zugleich kritisierte er - ohne explizite Nennung - die allgegenwärtigen Roten Sterne der Kommunisten, die nachts in Dresden grell, etwa an Regierungsgebäuden, leuchteten.
Aber auch an den Irrlichtern des Konsumismus übte Kardinal Meisner später, wie der heilige Johannes Paul II., deutlich Kritik. Versonnen und dankbar erinnert sich der gebürtige Breslauer an die Frömmigkeit seiner Kindheit: "Die Schlesier waren dem christlichen Glauben und seiner Tradition besonders positiv eingestellt. Jedes Kind wurde darin groß. Der sonntägliche Kirchgang war selbstverständlich. Die schönsten Lieder wurden mit Inbrunst möglichst mehrstimmig gesungen. Bei keiner Orgel fehlte die Kesselpauke. Die Musik mit vielen Instrumenten gehörte jedes Mal dazu, selbst in entlegenen Dorfkirchen …"
Im Glauben der Kirche geborgen lebte und wirkte Joachim Meisner zeitlebens, unbeirrt und treu, ein Vorbild noch heute für viele Katholiken in Deutschland. Dem Kardinal war ein gnädiger Tod beschieden. Mit dem Brevier in der Hand starb er, als er für immer nach Hause gehen durfte. Sein guter Freund Johannes Paul II. wird ihn droben verschmitzt lächelnd empfangen haben.
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