nicht an Satan zu glauben, macht krank
Aus: Christ & Welt Ausgabe 09/2012
Gabriele Amorth ist der Exorzist Roms. Nicht an den Teufel zu glauben, hält er für eine Todsünde
Guilio Napolitano/AFP/Getty Images
Jeden Tag“, sagt Gabriele Amorth, „treibe ich an fünf bis sechs Personen böse Geister aus. Bis vor einigen Monaten waren es noch viel mehr, zehn oder zwölf. Ich exorziere immer, auch sonntags. Selbst an Weihnachten.“ Aber das Alter macht sich bemerkbar. Gabriele Amorth ist schon 86. Seine Augen liegen tief in ihren Höhlen. Der Kopf ist kahl. Doch die Stimme klingt klar und bestimmt, als wäre sie daran gewöhnt, dem Fürsten der Finsternis Befehle zu erteilen. Gabriele Amorth, der Priester mit dem Juristenexamen, kämpft gegen Dämonen. Er ist der bekannteste Exorzist des Kontinents.
1994 wurde er zudem zum Präsidenten der Internationalen Vereinigung der Exorzisten gewählt. Tausende Menschen haben ihn im Lauf der Jahre aufgesucht. Sie wollen ihn sehen, ihr Herz ausschütten, ihn um Erlösung von Leiden bitten, für sich oder für Freunde und Verwandte. Noch heute schrillt sein Telefon bei der Gesellschaft vom heiligen Apostel Paulus im Südosten Roms fast ununterbrochen. Gerade hat er zusammen mit dem Vaticanisto Paolo Rodari von der Zeitung „Il Foglio“ in Italien seine Lebenserinnerungen veröffentlicht.
Als Exorzist ist Amorth ein Spätberufener. 1946 legte er sein juristisches Examen ab. Zehn Jahre später wurde er zum Priester geweiht. Bis 1986, da war er 61, leitete er das Monatsmagazin „Madre di Dio“ (Muttergottes). Dann kam Kardinal Ugo Poletti, damals Weihbischof in Rom. Er bat ihn, den Platz von Pater Candido Amantini einzunehmen, dem Exorzisten des Bistums. Amorth gehorchte und fand seine Mission im Kampf gegen Dämonen und für die Befreiung der Menschen, die von ihnen besessen sind.
Muss man dafür ein besonderer Mensch sein? „Nein, wer bin ich schon, um den Fürsten der Finsternis zu bekämpfen?“, fragt er zurück. „Ich bin ein Niemand. Gott ist alles. Dämonen bekämpft man nicht mit eigenen Kräften, sondern mit der Macht des Himmels.“ Seine Marienverehrung habe ihm dabei geholfen. „Eines Tages fand ich mich wieder bei der Exorzierung eines Besessenen“, erzählt er. „In seiner Stimme sprach der Satan zu mir. Mit Beleidigungen, Flüchen, Beschuldigungen und Drohungen. Der Mann bespuckte mich. Doch auf einmal sagt er zu mir: Priester, hau ab! Lass mich in Ruhe! Ich habe geantwortet: Hau du ab! Doch er bestand darauf: Ich bitte dich, gehe. Gegen dich kann ich nichts ausrichten. Ich fragte zurück: Sag mir in Jesu Namen, warum kannst du nichts ausrichten? Und er antwortete: Weil du zu gut beschützt bist von deiner Herrin. Deine Herrin mit ihrem Mantel umhüllt dich, ich kann dich nicht erreichen.“
Obwohl er davon erzählt wie vom Besuch seiner Nichte, macht Amorth nicht den Eindruck, als sähe er hinter jedem Baum Dämonen. „Die meisten, die behaupten, besessen zu sein, haben bloß schwere psychische Probleme“, sagt er. Ein Exorzist müsse behutsam vorgehen: „Den Teufel muss man ausfindig machen.“ Wie hat er ihn gefunden? „Es gibt Kennzeichen“, sagt der Pater. „Wenn einer ohne Stocken unbekannte Sprachen spricht oder jemanden versteht, der sie spricht. Oder wenn er Dinge weiß, die er nicht wissen kann. Manche haben unnatürlich große Kraft. Und Ähnliches.“
In seinem Buch berichtet Amorth zum ersten Mal ausführlich über einen Fall von dämonischer Besessenheit im Mai 2009 während einer Audienz von Papst Benedikt XVI. auf dem Petersplatz. Der hatte in einer Predigt vorher gesagt: „Heute stellen wir auf schmerzhafte Weise erneut fest, dass es Satan erlaubt worden ist, die Jünger sichtbar vor der ganzen Welt zu prüfen.“
Vom Platzende kamen vier Personen zur Audienz, zwei Frauen und zwei junge Männer. „Die Frauen“, erklärt Amorth, „waren meine Assistentinnen. Sie stehen mir während der Exorzismen bei. Sie beten für mich und für die Besessenen. Und sie helfen, so weit möglich, den Menschen auf dem langen und schweren Weg der Befreiung.“ Die beiden jungen Männer sind besessen, hat er festgestellt. Aber das weiß niemand außer ihnen und ihren Begleiterinnen. Die hatten sich entschlossen, die Männer zur Audienz zu bringen, weil sie annahmen, es könne ihren Schützlingen guttun. Warum? „Es ist kein Geheimnis“, erklärt Amorth, „dass viele Worte und Gesten des Papstes den Satan zur Weißglut treiben. Und es ist auch kein Geheimnis, dass allein die Anwesenheit des Papstes die Besessenen beunruhigt und zugleich irgendwie unterstützt in ihrem Kampf gegen denjenigen, der sie besitzt.“ Die vier nähern sich den Absperrungen in der Nähe der Bühne, von der aus der Papst bald sprechen wird. Die Soldaten der Schweizergarde halten sie an. Die vier haben keine Tickets, um weiter vorgelassen zu werden. Aber die beiden Frauen bestehen darauf. Sie wollen die Männer so nah wie möglich zum Papst bringen. Die Gardisten wollen sie nicht durchlassen. Dann täuscht eine der beiden einen Schwächeanfall vor. Das hilft. Die vier werden auf Reserveplätze für Behinderte gelotst.
„Die beiden Besessenen sprechen nicht“, berichtet der Exorzist im Präsens, als würde er eine Szene kommentieren. „Sie sind seltsam still. Als begriffen diejenigen, die sie besitzen – es handelt sich um zwei unterschiedliche Dämonen –, langsam, wer bald den Platz betreten wird. Die Glocken läuten zehn Uhr. Aus dem Glockenbogen, dem Seiteneingang des Petersdoms, kommt das weiße Auto mit drei Männern: der Fahrer, der stehende Papst und der neben ihm sitzende Sekretär Georg Gänswein.“
Die Frauen, erzählt er weiter, drehen sich zu den beiden jungen Männern um und greifen ihnen unter die Arme. Einer von ihnen zittert, seine Zähne klappern. Der andere dreht sich plötzlich weg und sagt mit einer Stimme, die aus irgendeiner unbekannten Welt zu kommen scheint, er wolle in Ruhe gelassen werden. Das Auto umfährt den gesamten Platz. Die beiden Besessenen fallen hin und krümmen sich am Boden. Sie schlagen mit dem Kopf auf die Erde. Die Schweizergardisten beobachten sie, schreiten aber nicht ein. Dann erreicht der Papst das Kopfende des Platzes, wenige Meter vor dem Eingang des Petersdoms. Er steigt aus und begrüßt die Menschen, die in den ersten Reihen Platz gefunden haben. Die beiden Besessenen fangen auf einmal zusammen an, entsetzlich laut zu jaulen, während sie auf dem Boden liegen. Eine der Frauen beginnt zu rufen: „Eure Heiligkeit, eure Heiligkeit, wir sind hier!“ Benedikt XVI. dreht sich um, nähert sich jedoch nicht. Er sieht die beiden Frauen und auch die beiden Männer, wie sie mittlerweile am Boden in unkontrollierter Wut schreien, spucken und zittern. Und ihn voller Hass ansehen.
Der Papst lässt keine Regung erkennen. Er schaut zu, hebt einen Arm und segnet die vier. Die beiden Besessenen werden geschüttelt, vor Wut, wie Amorth meint. Sie bäumen sich auf wie unter einem Peitschenhieb, so stark, dass sie fast drei Meter zurückfallen und auf dem Boden aufschlagen. Nun schreien sie nicht mehr. Sie brechen in Tränen aus und sind durch nichts zu beruhigen. Während der gesamten Audienz stöhnen sie. Als der Papst geht, kommen sie zu sich. „Sie sind wieder sie selbst und können sich an nichts erinnern.“
Als eine italienische Zeitschrift den Vorfall innerhalb eines Themenschwerpunktes über die exorzistische Praxis des Papstes berichtete, dementierte der vatikanische Sprecher Pater Federico Lombardi, dass der Pontifex den Ritus zur Vertreibung des Dämons vollzogen habe. Der Schilderung Amorths widersprach er dagegen nicht. Vielmehr bestätigte er sie: Benedikt XVI. habe sich darauf beschränkt, die beiden wutentbrannten Männer zu segnen. Er sei sich nicht bewusst gewesen, dass es sich um Besessene handelte. Seine Segnung habe dennoch eine starke Wirkung gezeigt.
Pater Amorth ist überzeugt, dass der
Satan den Papst fürchtet: „Seine Messen, seine Segnungen, seine Worte sind wie gewaltige Exorzismen. Ich glaube aber nicht, dass Benedikt XVI. Exorzismen durchführt, wie es nach meiner Kenntnis sein Vorgänger Johannes Paul II. getan hat.“ Trotzdem sei sein gesamtes Pontifikat ein großer Exorzismus gegen den Teufel, „wirksam und mächtig“. Nach Pater Amorth sollte dies Bischöfen und Kardinälen, für die der Teufel kein Thema ist, zu denken geben: „Sie werden sich für ihren Unglauben verantworten müssen.“ Für ihn ist es keine Frage, dass der Teufel zum christlichen Glaubensbestand gehört. „Wer nicht an ihn glaubt, der holt auch keinen Exorzisten, wenn es gefährlich wird.“ Für Amorth liegt darin eine schwere Sünde. Er setzt nach: „Eine Todsünde.“
Dass selbst der Klerus kaum mehr vom Satan spricht, ficht Pater Amorth jedoch nicht an. Der Mann, der seit einem Vierteljahrhundert gegen den Satan kämpft, glaubt die Bibel auf seiner Seite. Er zitiert zwei Verse aus dem Kapitel 5 des ersten Petrusbriefs: „Seid nüchtern und wacht. Denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann.“