Berlin-Institut23. Juli 20151
Deutsche Einheit: Religiös nähert sich der Westen dem Osten an
Die Verweltlichung nimmt in der alten Bundesrepublik Fahrt auf. Das Bild zeigt Teilnehmer des Christopher-Street-Days am 18. Juli in Frankfurt am Main. Foto: picture-alliance/dpa
Berlin (idea) – In den 25 Jahren seit der Wiedervereinigung haben sich die religiösen
Verhältnisse in Ost und West angenähert: Der Westen hat bei der Verweltlichung nachgezogen. Während sich der Rückzug des Christentums auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fortsetze, nahm er in der alten Bundesrepublik Fahrt auf. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „So geht Einheit“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Die Hoffnung, dass das Christentum im Osten wegen der tragenden Rolle der Kirchen bei der Friedlichen Revolution eine Renaissance erleben werde, habe sich nicht erfüllt. Während es Menschen in anderen
Ländern des früheren Ostblocks verstärkt in die Kirchen ziehe, sei dies in Ostdeutschland nicht der Fall. Vielmehr sei dort die Mitgliedschaftsquote der Kirchen weiter gesunken – von 37 Prozent der Bevölkerung im Jahr 1989 auf heute knapp 23 Prozent. Gleichzeitig habe sich der Rückzug des Christentums im Westen beschleunigt. 1987 waren 85 Prozent der Westdeutschen Kirchenmitglieder; in den 25 Jahren nach der Wiedervereinigung ist dieser Anteil auf knapp 66 Prozent gesunken, so das Institut.
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Kirchenmitglieder altern schnell
Der Mitgliedereinbruch habe verschiedene Ursachen. Zum einen verlaufe der Bevölkerungswandel in den Kirchen schneller als in der Gesamtbevölkerung. Es gebe weniger Nachwuchs, und daher ließen auch weniger Eltern ihre Kinder taufen. Gleichzeitig altern die Kirchenmitglieder: Auf eine Taufe kamen im Jahr 2012 etwa 1,6 christliche Bestattungen. Die hohen Kirchenaustrittszahlen verstärkten diesen natürlichen Rückgang: Allein 2012 seien viermal mehr Menschen aus den Kirchen ausgetreten, als Neumitglieder hinzukamen. Zahlenmäßig werde sich diese Entwicklung wahrscheinlich fortsetzen, ungewiss sei aber, ob auch prozentual beim christlichen Glauben in ganz Deutschland irgendwann ostdeutsche Verhältnisse herrschen werden.
Der Islam ist ein „Westphänomen“
Im Blick auf andere Religionsgruppen sind noch größere Unterschiede festzustellen. Hier ist der Osten – so das Institut – „ein recht weißer Fleck auf der Landkarte“. Von den rund vier Millionen Muslimen in Deutschland leben nur zwei Prozent in den neuen Bundesländern. Dieses Ungleichgewicht hängt dem Institut zufolge mit der unterschiedlichen Zuwanderungspolitik zusammen: In der DDR kamen Ausländer vor allem aus sozialistischen Bruderstaaten in Asien und Afrika, während sich in der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren Hunderttausende muslimische Türken niederließen. Später kamen noch Nordafrikaner und Flüchtlinge, etwa aus dem Iran, hinzu. Der Islam sei dadurch „ein Westphänomen“ geblieben, so das Institut. Daran werde auch der heutige Zuzug von Flüchtlingen wenig ändern.
Muslime haben kein Nachwuchsproblem
Im Unterschied zu den christlichen Gemeinden seien die muslimischen sehr lebendig. Ihnen gelinge es gut, alle Generationen, auch die jüngere, anzusprechen. So hätten sich bei einer Umfrage im Jahr 2012 etwa 90 Prozent der Muslime zwischen 18 und 29 Jahren als „religiös“ bezeichnet; bei gleichaltrigen Christen waren es nur 40 Prozent. Das Institut: „Vor einem Nachwuchsproblem steht der Islam im Gegensatz zum Christentum also nicht.“
Das Judentum leidet an Überalterung
Hingegen leide das Judentum in Deutschland an Überalterung. Mit knapp 53 Jahren liege das mittlere Alter rund sieben Jahre über dem der gesamtdeutschen Bevölkerung. Nach der Wiedervereinigung hatten die jüdischen Gemeinden zunächst einen starken Mitgliederzuwachs durch Zuzug aus dem postsowjetischen Ausland verzeichnet. Diese Migration sei inzwischen weitgehend versiegt. Jüdische Gemeinden hätten heute in ganz Deutschland etwa 101.000 Mitglieder; das seien dreieinhalbmal so viele wie 1990. In den neuen Bundesländern habe sich die Zahl der Juden sogar verachtfacht; heute sind es beinahe 8.000.
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