ardinal Müller im Interview: „Vor Gott sind wir alle arm“

#1 von Traudel , 26.07.2015 00:03

Kardinal Müller im Interview: „Vor Gott sind wir alle arm“

Kardinal Gerhard L. Müller, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, zum "Sonntag": Über die Ziele der Bischofssynode im Oktober, über die Chance(n) des wieder entdeckten Buß-Sakraments, über die Barmherzigkeit und das Evangelium von der Gnade.



"Papst Franziskus ruft uns immer wieder auf, uns der Barmherzigkeit Gottes im Sakrament der Versöhnung ohne Vorbehalt und ohne Scheu anzuvertrauen: Wir können und müssen uns vor Gott nicht selber rechtfertigen, indem wir uns auf die eigenen Verdienste berufen oder unsere Sünden bagatellisieren", so Kardinal Müller.

KARDINAL MÜLLER:
Kardinal Gerhard Ludwig Müller, geboren am 31. Dezember 1947 in Mainz, war von 1986 bis 2002 Professor für Dogmatik an der Universität München, von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg. Am 2. Juli 2012 berief Papst Benedikt XVI. den renommierten Theologen an die Römische Kurie und ernannte ihn als Nachfolger von William Joseph Levada zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre sowie zum Präsidenten der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission.

Papst Franziskus bestätigte Müller in seinem Amt und nahm ihn 2014 unter die Kardinäle auf. Müllers Hauptwerk ist die „Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie“, erschienen im Herder-Verlag.

Mehr über die Bischofssynode zur Familienpastoral
http://www.erzdioezese-wien.at/site/mens...ynodezurfamilie

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SONNTAG: Wenn die Ordentliche Bischofssynode im Herbst die Grundzüge der kirchlichen Ehelehre gleichsam „aktualisiert“, wie könnten diese Sätze lauten?

Kardinal Müller: Die katholische Ehelehre hat ihre Grundlage in der Schöpfung und in der sakramentalen Heilsordnung, die Christus seiner Kirche gegeben hat. Eine Zusammenschau der „Grund-Sätze“ bietet hier das II. Vatikanische Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Art. 47-52. Ohne den Synodenvätern im Einzelnen vorgreifen zu können, wird es bei der kommenden Bischofssynode darum gehen, diese Grund-Sätze über die Bedeutung der Ehe von Mann und Frau, aus der die Familie hervorgeht, für die Kirche und die ganze Gesellschaft in der heutigen Zeit neu bewusst und fruchtbar zu machen.

In seinen „Gesammelten Werken“ hat Joseph Ratzinger erst jüngst empfohlen, häufiger Ehenichtigkeitsverfahren zu führen, und so den Weg für eine zweite Ehe und damit den Zugang zu Kommunion und Buß-Sakrament freizumachen. Ist das einer der möglichen pastoralen (Aus-)Wege?

Kardinal Müller: Zuallererst muss man hier anmerken, dass eine Erhöhung der Zahl von Nichtigkeitserklärungen nicht direktes Ziel der Ehepastoral sein kann: Vorrangig geht es darum, die Gläubigen in ihrem Bemühen um ein Gelingen des ehelichen und familiären Miteinander zu unterstützen. Angesichts einer Krise des Verständnisses von Ehe und Familie ist die Möglichkeit der Prüfung der Gültigkeit einer gescheiterten Ehe heute aber wichtiger geworden als zu den Zeiten, in denen eine allgemeine christliche Kultur den einzelnen in seinem Glaubensleben noch wie selbstverständlich mitgetragen hat. Es darf jedoch die kirchenrechtlich legitime Frage, ob beim Eheabschluss alle für das Zustandekommen der Ehe nötigen Bedingungen von beiden Seiten gegeben waren, nicht als eine Art „Scheidung auf Katholisch“ missverstanden werden.

Auch erleben wir in der Diskussion der letzten Jahre oft eine Zuspitzung der Frage des Empfangs von Bußsakrament und Eucharistie auf die Problemlage des Scheiterns der Ehe. Daran scheiden sich dann die Geister, und Polarisierungen entstehen. Es bräuchte hier eine allgemeine Weitung der Diskussion: Wie bereite ich mich in rechter Weise auf den Empfang der Sakramente vor?

Wie kann die Familie als gleichsam erfolgreichstes Projekt der Menschheitsgeschichte inner- und außerkirchlich wieder neu zum Leuchten gebracht werden, wenn Themen wie Kommunion für zivilrechtlich wiederverheiratete Geschiedene, Toleranz für Zweitehen, Anerkennung homosexueller Partnerschaften so im Vordergrund stehen?

Kardinal Müller: Zur Sorge für das Heil der Menschen in ihrer Lebenszeit und ihrer Hoffnung auf das ewige Leben gehört wesentlich dazu, sich in der seelsorglichen Begleitung besonders denjenigen Schwestern und Brüdern zuzuwenden, die in ihrem Leben, in ihren Auffassungen und in ihrem Verhalten die sakramentalen und moralischen Grundsätze der Glaubensoffenbarung nicht, noch nicht oder nicht mehr verwirklichen. Aber deswegen dürfen wir in der Verkündigung keinesfalls vergessen, dass das Evangelium Christi in seiner Klarheit und Schönheit jedem Menschen die Gnade verheißt und schenken will, gemäß dem Plan Gottes zu leben.

Barmherzigkeit, lateinisch „misericordia“, heißt ein Herz (lat. „cor“) für die Armen („miseri“) zu haben. Wer sind diese „Armen“ für die Bischofssynode?

Kardinal Müller: Vor Gott sind wir alle arm, wenn wir bekennen, nichts aus uns selbst heraus zu vermögen. Und zugleich sind wir vor Gott alle reich, wenn wir begreifen, dass wir von ihm alles empfangen haben, unser Sein und Leben, die Fähigkeit zu lieben und zu schenken, Verantwortung für andere zu übernehmen – und nicht zuletzt die Hoffnung auf die Vollendung in Gott. In diesem Sinne wird die Bischofssynode ihren Blick sicherlich auf einen sehr vielfältigen Reichtum und auch auf vielfache Armut richten: auf die Menschen und die Familien in ihrem Streben und Suchen, ihrem Bemühen, in ihrem Scheitern und ihrem Gelingen; auch auf die Kinder, die sich im Besonderen der Liebe ihrer Eltern verdanken und die ihrer Vertrauensgemeinschaft bedürfen.

Wir leben alle nach dem Sündenfall: Wie können wir mit Scheitern und Unzulänglichkeiten umgehen (lernen)?

Kardinal Müller: In der Tat ist durch das Eindringen der Sünde die Harmonie der Schöpfung schwer gestört worden, was sich in der Zerrissenheit unserer Herzen zeigt. Aber die Erbsünde ist durch die Taufe getilgt, die noch bleibende Neigung zur Sünde kann von uns mit der Hilfe der Gnade überwunden werden. Schwierigkeiten im Zusammenleben lösen sich nicht von selbst. Aber aus dem Wort Gottes, aus Gebet und Sakramenten dürfen wir immer neu die Kraft schöpfen, sie zu überwinden. Auf diese Weise wächst in uns die Gabe der Beharrlichkeit, des Durchhaltens in den schweren Stunden und auch des Leidens – miteinander, bisweilen wohl auch aneinander. Ich denke hier an die tiefe Aussage im feierlichen Trauungssegen: „Wo Mann und Frau in Liebe zueinander stehen und füreinander sorgen, einander ertragen und verzeihen, wird deine (Gottes!) Treue zu uns sichtbar.“ So kann eine gemeinsame Lebensgeschichte ein Weg des Reifens in der Liebe werden, und wir werden immer mehr dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn gleichgestaltet.

Müsste nicht auch die Lehre der seelsorglichen Begleitung neu entdeckt werden?

Kardinal Müller: Seelsorge ist die Begleitung im Namen und im Geist Christi, des Guten Hirten, der selbst dann bei uns bleibt, wenn wir „wandern in finsterer Schlucht“ (Psalm 23). Schon die Kinder können von ihren Eltern lernen, was eine christliche Ehe und Familie bedeutet und welch fundamentale Bedeutung sie für Kirche und Gesellschaft hat: Das ist die frühe Form der Sorge um die Seele. Zur Reifung im christlichen Leben gehört dann später auch die Kenntnis unseres Glaubens, des christlichen Menschenbildes, des Reichtums der Sakramente, die positive Bedeutung des Mann- oder Frauseins, aber auch das Wissen um die Anfälligkeit des Menschen für Manipulationen seines Gewissens und um die destruktiven Konsequenzen des Egoismus. In all diesen Bereichen braucht es aber mehr als das gelernte Wissen: Es braucht tatsächlich gute persönliche Begleitung (und gute persönliche Begleiter) im Glauben, damit die zarte Pflanze jener Liebe wächst, die ihre Herzmitte und zugleich ihre Stärke im Akt des vorbehaltlosen Sichschenkens und des endgültigen Sichbindens hat, wie Paulus es im „Hohenlied der Liebe“ (1 Kor 13) so wunderbar zum Ausdruck bringt.

Was heißt es für die Praxis der Kirche, dass das Buß-Sakrament faktisch verdunstet und dass gleichzeitig die Kommunion fast selbstverständlich geworden ist?

Kardinal Müller: Zu Recht zielte die Liturgische Bewegung auf die Erneuerung und Vertiefung der eucharistischen Frömmigkeit und damit auch auf die häufigere Kommunion der Gläubigen in der Feier der heiligen Messe. Geistlich fruchtbar können wir die heilige Kommunion aber nur dann empfangen, wenn unser Leben mit diesem Akt nicht im Widerspruch steht. Christus hat den Aposteln und ihren Nachfolgern, den Bischöfen und Priestern, die Vollmacht gegeben, Sünden zu vergeben. Im Sakrament der Buße empfangen die Gläubigen die Vergebung ihrer Schuld und auch die geistliche Kraft, ihre Schwächen zu überwinden und mit der Kraft des Heiligen Geistes ein Leben zu führen, das immer mehr dem Heilswillen Gottes entspricht.

Papst Franziskus ruft uns immer wieder auf, uns der Barmherzigkeit Gottes im Sakrament der Versöhnung ohne Vorbehalt und ohne Scheu anzuvertrauen: Wir können und müssen uns vor Gott nicht selber rechtfertigen, indem wir uns auf die eigenen Verdienste berufen oder unsere Sünden bagatellisieren. Gott ist es, der uns durch die Lebenshingabe seines Sohnes am Kreuz rechtfertigt. Wir gewinnen Anteil an seiner Auferstehung, wenn wir im Bußsakrament mit seiner Gnade einen neuen Anfang machen dürfen. Wir Bischöfe und Priester dürfen nicht aufhören, den Menschen diesen Dienst der Vergebung anzubieten; und wir sind eingeladen, dem Aufruf von Papst Franziskus zum Empfang des Sakraments der Vergebung zu folgen, wir alle. Denn es ist die Frohe Botschaft Jesu Christi, die mir durch den Mund des Priesters zugesagt wird: „Mein Sohn, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben. Geh hin und sündige nicht mehr, und folge mir nach!“
erstellt von: Der Sonntag/Stefan Kronthaler
15.07.2015
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Traudel
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